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Anamnese

Die Anamneseerhebung eines Patienten mit erektiler Dysfunktion gliedert sich in 2 Teile, die Sexualanamnese und die Allgemeinanamnese.

Bei der ersten Vorstellung in der andrologischen Sprechstunde oder Praxis sollte der Patient zunächst im Rahmen der Sexualanamnese über die Dauer und das Ausmaß der Erektionsstörungen befragt werden. Die Frage nach der Dauer der Erektionsstörung erlaubt bereits eine Einteilung in primäre und sekundäre Störungen. Die sehr seltenen primären Erektionsstörungen sind von der Pubertät an vorhanden und werden insbesondere bei Gefäßmissbildungen gefunden. Üblicherweise liegt jedoch eine sekundäre Erektionsstörung vor, d. h. die Störung tritt erst nach einem Intervall normaler sexueller Aktivität auf. Die Art und das Ausmaß der Erektilen Dysfunktion werden durch die Frage nach akutem, episodenhaftem oder einem chronischen Auftreten insofern naher charakterisiert, als letzteres eher in Richtung einer Organogenese denken, aktbezogene (nur beim Geschlechtsverkehr, nicht bei Masturbation), partnerbezogene (nur bei der Ehefrau, nicht bei der Freundin) sowie situationsbezogene (ungünstige Wohnverhältnisse) Erektionsstörungen deuten dagegen eher auf eine nicht organische Ursache hin [1]. Es sollte geklärt werden, ob es sich um eine primäre Libido- oder Erektionsstörung oder um eine Kombination beider handelt. Die Gliedsteife beim Geschlechtsverkehr bzw. der Versuch und die Dauer der Erektion sollte erfragt werden. So kann ein vorzeitiger Erektionsverlust unmittelbar nach der Penetration bei psychogenen Störungen, aber auch beim sogenannten venösen Leck gefunden werden. Eine vorzeitige Ejakulation (Ejaculatio praecox) bei ungestörter Erektion ist dagegen im allgemeinen psychogener Natur. Eine schmerzhafte Ejakulation deutet auf eine Prostatovesiculitis hin und erfordert weitere diagnostische Maßnahmen (Urin nach rektaler Palpation, ggf. Ejakulatkultur). Fragen nach Abknicken des Glieds bei der Erektion geben Hinweise über das Vorliegen genitaler Anomalien oder Erkrankungen im Sinne einer Induratio penis plastica. Eine gute spontane Gliedsteife frühmorgens oder nachts weist ebenfalls auf eine intakte Organphysiologie hin. Die Sexualanamnese wird abgerundet durch die Frage nach der aktuellen partnerschaftlichen Situation und der Qualitat derselben sowie der Zufriedenheit mit der aktuellen Lebenssituation. Einen Überblick über die Sexualanamnese gibt Tabelle 2.1 wieder.

Tabelle 2.1. Sexualanamnese

  • Dauer der Erektionsstörung (primär, sekundär, chronisch, episodisch)
  • Art der Erektionsstörung (akt-, partner-, situationsbezogen)
  • Sexuelles Verlangen
  • Spontane Gliedsteife
  • Gliedsteife beim Geschlechtsverkehr
  • Dauer der Erektion (vorzeitiger Erektionsverlust)
  • Abweichen des Glieds bei Erektion
  • Ejakulationsstörung (Ej. praecox, schmerzhaft)
  • Aktuelle partnerschaftliche Situation und Lebenssituation

Im Rahmen der Allgemeinanamnese sollte nach Erkrankungen der Leber, Schilddrüse, Nieren, Nebennieren, des Zentralnervensystems sowie des Herzkreislauf- und Gefäßsystems gefragt werden, die alle ursächlich an einer Störung der Erektion beteiligt sein können. Bei der Leberinsuffizienz soll eine Akkumulierung exogener nichtsteroidaler Östrogene durch insuffiziente Metabolisierung ursächlich zur Potenzstörung beitragen [3]. Ober- und Unterfunktionen der Schilddrüse, insbesondere aber die Thyreotoxikose, können mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft sein [2]. Bei den Nebennierenerkrankungen können Cushing-Syndrom und Morbus Addison durch Leydig-Zell-Funktionsstörungen zu Erektionsstörungen führen [2]. Auch an feminisierende, adrenokortikale Tumoren muss gedacht werden. Eine erektile Dysfunktion kann auch ein häufiges Begleitsymptom bei chronischer Niereninsuffizienz sein, wobei die Ursache nicht völlig geklärt ist [2]. ZNS-Erkrankungen werden in Kap.5 (neurologische Untersuchung) abgehandelt. Bei Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen sollten die arteriellen Risikofaktoren Hypertonus, Hyperlipidämie, Hyperurikämie, Diabetes mellitus und Nikotinabusus erfasst werden. Virag [4] konnte zeigen, dass eine Kombination von 2 oder mehr Risikofaktoren eine Korrelation zur arteriell bedingten Erektionsstörung aufweist. Nach Miktionsbeschwerden sollte gefragt werden, da eine Blasenentleerungsstörung erster Hinweis auf eine vegetative Neuropathie, z. B. eine diabetische Neuropathie, sein kann. Der Medikamentenkonsum gewinnt zusehends an Bedeutung. Der negative Einfluss vieler Präparate auf die erektile Funktion ist nicht allgemein bekannt (vgl. Kap. 1). Ferner beeinträchtigen chronische Intoxikationen durch Alkohol, Tranquilizer, Barbiturate, Opiate, Kokain sowie durch gewerbliche Gifte, z. B. Blei und Kohlenwasserstoffe, die Erektion. Neben der Leberinsuffizienz ist beim Alkoholabusus eine Polyneuropathie eine mögliche Ursache der Erektionsstörung (Tabelle 2.2). Chirurgische Eingriffe im Beckenbereich (Tabelle 2.3), eine Strahlentherapie sowie Trauma im Bereich der Genitalorgane können ebenfalls Ursache einer erektilen Impotenz sein.

Tabelle 2.2. Allgemeinanamnese.

  • Erkrankungen des Herz-, Kreislauf- und Gefäßsystems, Leber, Niere, Nebennieren, Schilddrüse, ZNS
  • Arterielle Risikofaktoren (Hypertonus, Hyperlipidämie, Hyperurikämie, Diabetes mellitus, Nikotinabusus)
  • Intoxikationen (Alkohol, Opiate, Blei, Kohlenwasserstoffe)
  • Medikamentenanamnese
  • Operationen
  • Trauma im Beckenbereich oder äußeren Genitale

Tabelle 2.3. Operationen mit möglicher negativer Auswirkung auf die Erektion.

  • Radikale Prostatektomie
  • Radikale Zystektomie
  • Radikale Rektumamputation
  • Prothetischer Aortenersatz
  • Lumbale Sympathektomie
  • Bilaterale Orchiektomie
  • Transurethrale oder suprapubische Prostataadenoms-Entfernung

Zusammenfassung

Die Anamnese gliedert sich in eine Allgemeinanamnese und eine Sexualanamnese. Im Gespräch werden erste Hinweise auf eine ätiologische Zuordnung der Beschwerden gewonnen. Gleichzeitig wird die Basis für eine Arzt-Patient-Kooperation gelegt, was für den weiteren diagnostischen Werdegang von Bedeutung ist. Eine Ubersicht über anamnestisch wichtige Daten geben die Tabellen 2.1 - 2.3 wieder.

Literatur

  1. Becker He, Weidner W (1988) Anamnestische Besonderheiten bei erektiler Dysfunktion. In: Bahren W, Altwein JE (Hrsg) Impotenz. Thieme, Stuttgart
  2. Streen SB (1982) The endocrinology of impotence. In: Bennet AH (ed) Management of male impotence. Williams & Wilkins, Baltimore/MD
  3. Van Thiel DH, Lester R, Sherins RJ (1974) Hypogonadism in alcoholic liver disease: evidence for a double defect. Gastroenterology 67:1188
  4. Virag R (1985) Is impotence an arterial disorder? Lancet 1119:181-184
Autor: S. Alloussi E. Becht H.-V. Braedel , D. Caspari Th. Gebhardt S. Meessen V. Moll , K. Schwerdtfeger J. Steffens
Quelle: Erektile Funktionsstorungen , Diagnostik, Therapie und Begutachtung